War Hitler an Bord? Jetzt spricht der letzte Augenzeuge der U-Boot-Flucht nach Argentinien (2024)

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War Hitler an Bord? Jetzt spricht der letzte Augenzeuge der U-Boot-Flucht nach Argentinien (1)

Zwei deutsche Unterseeboote tauchten lange nach der Kapitulation erst in Südamerika wieder auf. U 530 stand unter dem Kommando von Oberleutnant zur See Otto Wermuth († 90) aus Aalen und kam am 10. Juli 1945 in Mar del Plata an. Rudolf Neuwirther (95) aus Greifenburg in Kärnten erreichte mit U 977 vor genau 75 Jahren am 17. August 1945 dieses Ziel – und entmystifiziert auch diese abenteuerliche Unterwasserfahrt, die weltweit für Schlagzeilen sorgte.

Aalen/Mar del Plata/Greifenburg

Wer den bizarren Hitler-Mythos bestätigt haben will, ist bei U-Boot-Veteran Rudolf Neuwirther (95) an der falschen Adresse. Der Österreicher aus den Gailtaler Alpen diente im Zweiten Weltkrieg bei der Kriegsmarine. An Bord von U 977, einem der zwei deutschen Unterseeboote, deren geheimnisumwittertes Auftauchen vor 75 Jahren weltweit für eine "Hitler-Hysterie" gesorgt hatte: War dem Massenmörder, so die immer wieder und bis heute befeuerten, wilden Gerüchte, tatsächlich noch die Unterwasserflucht aus Nazi-Deutschland gelungen?

Am 17. August 1945 endete die Rekord-Tauchfahrt von U 977 nach 100 Seetagen im Hafen von Mar del Plata. U 530 unter dem Kommando von Otto Wermuth aus Aalen war dort bereits am 10. Juli angekommen – nach 130 harten U-Boot-Tagen und 11 000 Seemeilen im Atlantik.

Immerhin: Für Passagiere wäre wohl Platz genug gewesen in der engen Stahlröhre, zumindest mehr als sonst auf U 977. Einige Kojen waren frei. Denn statt 48 Mann waren nur noch 32 im U-Boot (66,5 Meter lang, 6,2 Meter breit). 16 Kameraden hatte U 977 unter Kommandant Oberleutnant zur See Heinz Schaeffer († 57) an der norwegischen Küste abgesetzt. Von dort war das überalterte U-Boot vom Typ VII C am 2. Mai 1945 zu einem letzten Himmelfahrtskommando ausgelaufen. "Unser Zielgebiet war der Hafen von Southampton. Bis dahin kamen wir aber nicht...", erinnert sich Besatzungsmitglied Rudolf Neuwirther aus Greifenburg in Kärnten.

Nördlich von Irland erfuhr die Crew von der Kapitulation – und entschied sich gegen den Auftauchbefehl und für die gewagte Flucht nach Argentinien. Der Vorschlag kam von Kommandant Schaeffer, der als Kaufmann vor dem Krieg gute Kontakte nach Buenos Aires geknüpft hatte. Sieben U-Boot-Männer mit Familie und neun weitere Kameraden wollten nicht mit. So drehte U 977 um und brachte sie zurück nach Skandinavien.

Tiefenrudergänger Neuwirther (damals 20 Jahre alt), der in der Heimat als Knecht gearbeitet hatte und mit gerade mal 17 zur Kriegsmarine gegangen war, blieb an Bord: "Ich war jung und habe über all das nicht nachgedacht", sagt der achtfache Vater heute, der mit seiner Frau bis vor zwei Jahren noch als Senner hoch oben auf einer Alm im Oberen Drautal gearbeitet hat.

Seine traurige Mutter schrieb damals "Mein Rudi" auf das Matrosenfoto ihres Sohnes, als sie die Vermisstenmeldung zu U 977 bekam, mit der zunächst fast jede Hoffnung auf sein Überleben schwand. Die Gestrandeten in Norwegen hatten die an Bord besprochene Legende zum Untergang verbreitet: "U 977: Gesunken nach Minenexplosion."

Aber Rudi lebte und tauchte 66 Tage am Stück unter Wasser – ein Non-Stop-Rekord. In nur sechs Metern Tiefe schlich das U-Boot um die britischen Inseln und Irland herum auf südlichem Kurs bis zu den Kapverdischen Inseln vor Westafrika. Frische Luft schnappte U 977 über ein Schnorchelsystem.

Bei einer unbewohnten Insel schob die erschöpfte Mannschaft nach den ganzen Entbehrungen in dem schimmelig-klammen U 977 eine kurze Badepause ein. Zeitzeuge Neuwirther: "Wir haben unser Boot renoviert. Das war dann alles wieder picobello. Bei uns war dann lustige Stimmung wie auf einer Urlaubsfahrt." Die dreckige Wäsche zog das U-Boot an Leinen hinter sich her durch die "Salzwasser-Waschmaschine". Gegen riskante Sichtungen durch andere Schiffe und Flugzeuge tarnte sich das U-Boot mit einem gebastelten Blechrohr als Schlot und Ölqualm erfolgreich als harmloser Frachtdampfer.

Währenddessen saßen der Aalener Kommandant Otto Wermuth und seine 53 Kameraden nach ihrer "Feind-Fluchtfahrt" von Kiel über Norwegen bis vor New York und dann nach Argentinien in US-Kriegsgefangenschaft. Und sie alle – vor allem die Offiziere – wurden in den Vernehmungen immer wieder nach Adolf Hitler und Geheimaufträgen gefragt. Aber da gab es nichts zu gestehen. Otto Wermuth ging es bei der waghalsigen Flucht darum, seine Mannschaft zu retten. Nach dem Krieg lebte der Kaufmann zurückgezogen im Aalener Hüttfeld. Er redete nicht viel über seine Erlebnisse im grausamen U-Boot-Krieg, aber: "Über die Hitler-Gerüchte hat mein Vater nur geschmunzelt und gelacht", erzählt sein Sohn Dr. Stefan Wermuth (67).

Als auch U 977 im August 1945 Mar del Plata nach 7300 Seemeilen erreichte – im Gegensatz zu U 530 mit voller Bewaffnung – trauten die Argentinier ihren Augen nicht: Noch so ein stark ramponiertes deutsches U-Boot! Und wieder die Hitler-Märchen und die anderen wirren Geschichten über Nazigrößen, ihr Gold und fantastische Wunderwaffen für den "Endsieg". Wie könnten 54 Mann von U 530 und 32 Männer von U 977 bis zum Lebensende solche Geheimnisse nur für sich behalten? Der letzte Augenzeuge weiß ganz sicher, wie es war – und entzaubert den absurden Mythos endgültig: "Für uns U-Boot-Fahrer war Hitler immer fremd. Da gab es nie Kontakt. Das war ja auch ein ganz anderer Verein. Es hat keine Geheimnisse um U 977 gegeben. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. Da war nichts an Bord. Überhaupt nichts. Gar nichts. Auch ich habe darüber immer nur gelacht."

In einem stickigen U-Boot herrscht beklemmend wenig Platz, erst recht für obskure Geheimnisse jeder Art ...

U 530 und U 977 wurden von der US-Navy in die Vereinigten Staaten geschleppt und dort später bei Torpedoversuchen versenkt. Heinz Schaeffer starb 1979, Otto Wermuth 2011.

Gerrit Reichert und Damian Imöhl

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